- Unzählige Male schon habe ich im BILDblog Beiträge gelesen, in denen ein deutscher Bericht kritisiert wurde, der von Billionen sprach, wo auch im amerikanischen Original von billions die Rede war ((Zum Beispiel hier, hier, hier, hier, … und der umgekehrte Fehler hier.)). Eine amerikanische billion ist nämlich, ins Deutsche übersetzt, nur eine ‘Milliarde’.
- Die Verwirrung entsteht, natürlich, durch die extreme lautliche Ähnlichkeit. Die wahren Verhältnisse zeigt die folgende Tabelle:
Zahl | Deutsch | US-Englisch |
---|---|---|
100 | Hundert | one hundred |
1.000 | Tausend | thousand |
1.000.000 | Million | million |
1.000.000.000 | Milliarde | billion |
1.000.000.000.000 | Billion | trillion |
1.000.000.000.000.000 | Billiarde | quadrillion |
So weit, so relativ bekannt. Nun habe ich kürzlich dieses fantastische Youtubevideo angeschaut (und danach noch 10 weitere von minutephysics – ich war krankgeschrieben …), in dem unter anderem thematisiert wurde, wann der Urknall stattgefunden hat – nämlich »13.7 billion years ago«. Da ich dieses Wissen als gemeinwissenswert erachtete, musste es also ein wenig gerundet, übersetzt und abgespeichert werden. (Seltsam übrigens, dass das über fünf Staffeln Big-Bang-Theory-Theme hinweg noch nicht passiert war.)
Dabei habe ich mich dann zum ersten Mal gefragt, wie es eigentlich passieren konnte, dass diese beiden, offensichtlich etymologisch miteinander verwandten Wörter so verrutscht sind. Nach einiger Wörterbuchblätterei und zunehmend komplexen Notizen mit übermäßig vielen Nullen bin ich nun klüger geworden:
Die Million
Wie das Wort Million enstanden ist, habe ich schon vor einiger Zeit im Schplock thematisiert: Es handelt sich um eine italienische Vergrößerungsbildung (»Augmentativ«) auf -one mit der Ableitungsbasis mille ‘tausend’, also wörtlich ein ‘Großtausend’. Ursprünglich bezeichnete es eher eine »gefühlte Million«, es konnte nämlich generell für eine sehr große Zahl verwendet werden. Das Wort wurde auch schnell in andere Sprachen entlehnt – so tritt es im Deutschen schon im 15. Jahrhundert auf, erhält aber erst im 17. Jahrhundert seine konkrete heutige Bedeutung ‘1.000.000’.
Zählen ohne Millionen
Bevor es so verwendet werden konnte, behalf man sich mit tausend. So gibt einen Beleg von 1525 (gefunden via DWB), in dem uns folgende Aussprache großer Zahlen empfohlen wird ((Auf dieser Seite im Original. Die Quelle ist übrigens ein frühneuhochdeutsches Rechenbuch von einem gewissen Adam Ries, in der Mathematik sprichwörtlich geworden (nach Adam Riese macht das …).)):
86789325178
ist sechs und achzig tausent tausent mal tausent/ sibenhundert tausent mal tausent/ neun und achzig tausent mal tausent/ drey hundert tausent fünf und zwenzig tausent/ ein hundert und acht und sibenzig
Und noch einmal aufgedröselt, damit man die Logik nachvollziehen kann:
Mrd. | Mio. | Tsd. | Hdt. | |
86 | 000 | 000 | 000 | sechs und achzig tausent tausent mal tausent |
700 | 000 | 000 | sibenhundert tausent mal tausent | |
089 | 000 | 000 | neun und achzig tausent mal tausent | |
300 | 000 | drey hundert tausent | ||
025 | 000 | fünf und zwenzig tausent | ||
178 | ein hundert und acht und sibenzig |
Heute sagen wir sechsundachtzig Milliarden siebenhundertneunundachtzug Millionen dreihundertfünfundzwanzigtausend einhundertachtundsiebzig, etwas kürzer. Danke, 17. Jahrhundert!
Die Bi- Tri- Quadrillion
Die Billion ist eine Verschmelzung von bi- ‘zwei’ (wie in binational, bisexuell, Biathlon) und million, gebildet Ende des 15. Jahrhunderts im Französischen. Der Wortsinn war allerdings nicht, wie man vielleicht denken könnte, ‘zwei Millionen’, sondern ‘eine Million hoch 2′: 1.000.000.000.000 (‘eine Billion’) – analog zur Million, die ‘Tausend hoch 2’ ist. (Man bildete dann auch die trillion ‘1 Mio3′ und die quadrillion ‘1 Mio4′.)
So ein cooles Wort wollte man dann auch in Deutschland haben. Anfang des 18. Jahrhunderts wanderte die französische Billion daher ein. Auch die Briten eigneten sich das Wort an. Etwas mehr als hundert Jahre später (nach 1871) stopfte man die Benennungslücke zwischen der Million und der Billion mit dem Wort Milliarde, ebenfalls aus dem Französischen. Dieser Wortschatzerweiterung ging übrigens kausal eine Erweiterung der Finanzen des deutschen Reichs voran: Nach dem Deutsch-Französischen Krieg gab es Kriegsentschädigung in Höhe von 5 Mrd. Goldfrancs für Deutschland (bei Pfeifer steht Mark). Darüber musste man natürlich reden können!
Aus der milliarde wird die Billion
Es hätte alles so schön sein können, aber kaum hatte man das Wort Billion ins Deutsche entlehnt, schraubten die Franzosen schon wieder dran herum. Die frz. billion bekam die neue Bedeutung ‘eine Milliarde’, so zum Beispiel in einem Beleg von 1721. ((Das hatte sich Ende des 18. Jahrhunderts allerdings noch nicht ausschließlich durchgesetzt, sonst hätten wir die dadurch redundant gewordene Milliarde nicht entlehnen können.))
Lange und kurze Leitern
Der Austausch von Milliarde durch Billion war keine Bedeutungsveränderung, die einfach so passierte– die neue Bedeutung wurde von Arithmetikern festgelegt. Nach welcher Logik genau, konnte ich mir allein aus dem OED nicht erschließen – dort heißtes
Subsequently the application of the word was changed by French arithmeticians, figures being divided in numeration into groups of threes, instead ofsixes[…]
Was das bedeutet, habe ich schließlich über die Wikipedia herausbekommen. Im Eintrag Long and short scales (‘Lange und kurze Leitern’) ist das schön erklärt:
Länder– denn das sind eher landes- als sprachspezifische Unterschiede– mit dem älteren System (lange Leiter; wie Deutschland) nehmen die Benennung nach Millionen vor (d.h. nach Sechsergruppen). Eine Billion ist damit ‘1 Mio2′, eine Trillion ‘1 Mio3′, … Die Potenz zeigt ja an, wie oft die Million mit sich selbst malgenommenwird.
Länder mit dem jüngeren System (kurze Leiter; wie hier im 18. Jahrhundert Frankreich) nehmen die Benennung nach Tausendern vor (d.h. Dreiergruppen). Eine billion ist damit 1.000 x 1.0002, eine trillion 1.000 x 1.0003 usw.
Damit kann das kurzleitrige System alle entstehenden Zahlen kontinuierlich mit -llion benennen, ab der billion wird einfach weitergezählt, tri-, quadri-, quinti-, sexti-, septi-, …
Das langleitrige System hingegen hat immer einen Zwischenschritt: auf eine -on folgt eine -arde mit dem selben Anfang: Million, Millarde, Billion, Billiarde, …
Die amerikanische Billion
Nun kamen einige Nationen, die etwas später dran waren als Deutschland und Großbritannien, unter anderem die USA. Auch sie entlehnten die französische billion, natürlich in ihrer neuen (kurzleitrigen) Bedeutung ‘Milliarde’.
(Grafik: Julian Jarosch, CC-BY-SA 3.0)
Ebenso haben das auch einige andere Länder getan, zum Beispiel Brasilien, weshalb sich iberisches und brasilianisches Portugiesisch hier ebenso unterscheiden wie britisches und amerikanisches Englisch. Nach diesem Wikipediaeintrag scheint die kurze Leiter auch in einigen semitischen Sprachen, nämlich im Maltesischen, Arabischen und Hebräischen zu gelten.
Frankreich macht einen Rückzieher
Schließlich besann man sich in Frankreich auf die guten alten Zeiten zurück und wies der billion im Jahre 1948 (im Zuge von weltweiten Vereinheitlichungsbestrebungen) wieder den Wert einer deutschen Billion zu. Die USA waren nicht so besinnlich gestimmt und blieben bei der Bedeutung ‘Milliarde’. Damit sind sie auch recht erfolgreich und beeinflussen z.B. zunehmend den Gebrauch in Großbritannien – vermehrt seit 1951 (OED) – und teilweise eben auch den deutschen Journalismus.
Aber seien wir ehrlich: Unter so großen Zahlen kann sich im normalen Alltag sowieso keiner was vorstellen. Eindrücke von ihrer Größe bekommt man meist erst dadurch, dass man sie in Relation zueinander und zu Bekanntem setzt (wie z.B. hier), nicht dadurch, dass man die Menge der Nullen kennt.
Quellen:
- Grimm, Jacob und Wilhelm (1854–1960): Deutsches Wörterbuch. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig.
- Harper, Douglas (2001–2010): Online Etymology Dictionary.
- Le Trésor de la Langue Française informatisé (TLFi). (Teilw. auch via CNRTL.)
- Oxford University Press: OED Online.
- Pfeifer, Wolfgang (1993): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2. Aufl. 2 Bde. Berlin.